Quantcast
Channel: Ellen Kositza – Sezession im Netz
Viewing all 158 articles
Browse latest View live

Das war’s. Diesmal mit schwarzen Köpfchen, Ziegenmilcheis und neuem Adel

$
0
0

22.Mai 2016 – Das Eigene und das Fremde: Wir sind ja bestenfalls Möchtegernselbstversorger. Wir bessern uns. Die (meisten) Kinder waren heilfroh, als im März der letzte Kürbis über den Tisch gegangen war. Die Kartoffel- und Rote Beete-Vorräte hingegen waren für alle Geschmäcker zu früh erschöpft.

Heute vorjährige Schwarzwurzeln geernet, Blätter ergeben einen guten Salat. Äpfel, unser Lieblingsnahrungsmittel (allein in Form von Apfelchips sind diesen Winter Tonnen vertilgt worden), sind eben gerade zur Neige gegangen, sieht man von Apfelsaft und -wein ab. Der letzte Kirschkuchen aus eigenen Kirschen wurde im Café Schnellroda vertilgt.

Die Ziegen sind gerade hochproduktiv, kein Gericht ohne in Molke gekochtem Gemüse, ohne Überbackenes, selbst Butter muß seit Wochen nicht mehr eingekauft werden. Nun Ziegenmilcheis. Hat kein Hautgout, die Tiere stehen sehr sauber. Die Brennesselschwemme hab ich lange (nach ersten, mäßig schmeckenden Versuchen vor zig Jahren) ignoriert. Ein Leser (Grambauer) hat uns nun einen einzigartigen Zerkleinerer geschenkt: Nun kommt die Brennessel täglich auf den Tisch. Daumen hoch, sogar nahrungsindustriell verwöhnte Gäste sind begeistert.

Dann aber doch immer wieder die Lust auf das Exotische. Kiwi, Mango, Pfirsich, selbst an sonnigsten Stellen: Versuche abgebrochen. Zwecklos hier auf der Querfurter Platte, wo es stets zwei Grad weniger hat als im nahen Umland. Alles hat seinen Platz. Und jeder! Die Artischocken vom Vorjahr hingegen schauen ganz gut aus. Auch der Feigenbaum entwickelt sich erfreulich. Logisch ist: Wenn es überhaupt was wird, werden es kleine Früchtchen sein, unterentwickelt, Mitleidsernten. Zeigte sich schon bei der Paprika, seit Jahren. Es gibt schlichtweg einen Ort, Wurzeln zu schlagen, und einen Nicht-Ort. Man nennt letzteren: Utopie. Mal abwarten. Wir sind keine völkischen Gärtner. Die Empirie zählt.

– – – – –

23. Mai 2016 – Ach ja, der gute alte Kulturpessimismus ist unschlagbar. Nichts wird besser. Mein erster Elternabend liegt 14 Jahre zurück. Damals dachte ich vor der Veranstaltung, ich würde sicher die jüngste Mutter im Raum sein. Ich war damals erst ein paar Tage in Sachsen-Anhalt. In meinen heimatlichen Kreisen in Offenbach gab es niemanden, der mit 22 ein Kind bekommen hätte. Hier nun war es völlig normal. 14 Jahre später bin ich logisch eine der Ältesten. (Dies nur als Randbeobachtung.)

Vor vierzehn Jahren gab es noch Heimatkunde (damals schon ein merkwürdig altertümlicher Begriff), längst heißt es SaU, Sachunterricht. Zudem ein ganz großartiges Fach namens „Geschickte Hände“ mit Handarbeitstätigkeiten. Tempi passati.

Überhaupt hat sich alles verändert, und nichts zum Guten. Mir fällt es sehr schwer, den hocheuphorischen Überschwang der die aktuellen Sachlagen anpreisenden Lehrerinnen zu teilen. Ganz individuell… jedes Kind da abholen, wo es steht … Teamwork, Networking… neueste wissenschaftliche Erkenntnisse usw. usf. Begeistert wird erklärt, warum in den ersten beiden Jahren auf Noten („diesen Wahnsinn“) ganz verzichtet wird und warum an deren Stelle nun ein vielseitiges Kompetenzportfolio getreten ist.

Beispiel: In welchem Maße das superindividuelle Kind gezeigt habe, daß es eigene „Rechtschreibstrategien“ entwickelt habe, werde nun mittels eines Kreises angezeigt. Ist er ganz schwarz (Lehrerin: „der ausgefüllte Kreis bedeutet, das Köpfchen ist voll!“), dann ist das Kind ein Spitzenstratege in Sachen Rechtschreibung. Ist Kreis/“Köpfchen“ dreiviertelvoll, dann ist es ein guter Stratege. Ist es nur zu einem viertel voll/schwarz, dann brauche es noch ein bißchen seine Zeit. Klar.

Überreicht wird ferner eine pralle Mappe voller nützlicher Informationen. Wie man sich richtig, sinnvoll und hygienisch die Hände wäscht. Und wann: N a c h dem Toilettengang, v o r dem Essen. Und ein Blättchen zu sicherer Kleidung. Ich hatte nicht gewußt, daß sich bereits seit 15 Jahren Hersteller und Händler von Kinderkleidung „darauf geeinigt“ haben, auf Kordeln in Kinderkleidung zu verzichten, weil man sich daran erhängen könnte.

Daß es mir lebenspraktisch nicht aufgefallen ist, liegt sicher an unserer Vorliebe fürs sogenannte Auftragen. (Es ist mir eine schwer zu vermittelnde Genugtuung, ein- und dieselbe Latzhose seit anderthalb Jahrzehnten zum Anziehen herauszulegen!) Nun lese ich, daß man als Second-hand-Liebhaber mit Kordeln so verfahren soll: „Sorgen Sie für eine Sollreißstelle. Entfernen Sie hierfür die Kordel aus dem Kleidungsstück und schneiden sie diese in der Mitte durch. Dann nähen Sie das Band mit ein bis zwei Stichen wider zusammen. So kann die Kordel unter Belastung an dieser Stelle durchreißen.“ Lieb gemeint, aber: Den Teufel werde ich tun. Schnürsenkel sind auch passé. „Klettverschlüsse sind die bessere Alternative.“

– – – – –

24. Mai 2016 – Unser Lokalkolorit will, daß die Arzthelferin nicht sagt: „Heben Sie mal den Arm“, sondern: „Jetzt hebt sie bitte mal den Arm. “ Oder der Amtswalter: „Hat sie auch ein Paßphoto?“ Find ich schön. Sitze bei offenem Fenster am Schreibtisch. Draußen ist die Hauswand eingerüstet. Unser Lieblingshandwerker hat wie so oft zum Helfen seine Frau mitgebracht. Schon das hat für mich Begeisterungspotential, wie die schöne Blonde auf dem Gerüst turnt, Steine schleppt und anpackt wie ein Mann. Typisch Osten, daß dahinter keine Genderoffensive steht. Man tut, was halt zu tun ist. Frau auch.

Ich stehe auf, um das Fenster zu schließen, weil es gleich sehr staubig werden wird. Letzter gehörter Wortfetzen (Mann will was hochreichen, Frau braucht noch ein paar Sekunden, um zur Stelle zu sein): „Warte er, warte er nur kurz noch!“
Neuen adel den ihr suchet// führt nicht her von schild und krone…


Hirschgeweih! Nationaler Sozialismus! Wie Medien ihr Bestes geben

$
0
0

hirscheNicht erst, nachdem wir Uwe Krügers medienkritische Bücher gelesen, genossen, ja geradezu inhaliert haben, wissen wir, was von den Leitmedien und Deutungseliten zu halten ist. Dafür sind wir zu lange im sogenannten Geschäft. Noch weniger als „völkisch“, „krude“, „rechtsradikal“ sind wir das: naiv.

Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten oder zweiten Fernsehauftritt, jedenfalls im ZDF („Tagesthemen“), vieltausend Jahre her; ich war ungefähr zwanzig Jahre alt:

Nach der unerfreulichen „Maske“ („Sie wollen Ihren geflochtenen Zopf wohl nicht auflösen? Gott, wie peinlich!“) umarmte mich der Moderator recht herzlich: „Ihr erster TV-Auftritt? Keine Bange, wird gaanz locker!“ Seine erste live-Frage im Studio lautete dann in etwa: „Wie wollen Sie dem Eindruck begegenen, Sie seien antidemokratisch, womöglich gar antisemitisch?“

Also: Man kennt die Pappenheimer längst; ihre Unterstellungen, Insinuationen, Auslassungen. Man könnte sie ignorieren. Nur: Ignorieren sie uns dann auch? Iwo. Macht es einen Unterschied? Ob man sie pinseln läßt, ohne den eigenen Senf dazuzugeben oder ob man abermals den Versuch unternimmt, im Gespräch zu klären, zu begründen?

Nicht immer. Ein (jüngeres und harmloses) Beispiel unter vielen: Mit dem Deutschlandfunkkorrespondenten für Sachsen-Anhalt hat man gesprochen. Gut: eher gezankt, aber egal.

Gesendet hat er letztlich unter anderem, wir würden unseren Töchtern vorschreiben, Röcke zu tragen – was eine einigermaßen krasse Sitte wäre. Wir haben dergleichen nie befohlen, im Netz findet sich sogar ein Eintrag aus meiner Feder, in dem ich beschreibe, wie ich meine Töchter (aus pragmatischen Gründen, aber erfolglos) zu Hosen überreden will. Wir haben mit dem DLF-Mann keine Sekunde über Bekleidung geredet, er wird das faule Gerücht irgendwo aufgeschnappt und abgeschrieben haben.

Zu unserer Pirinncci-Lesung vor zehn Tagen hatte Christoph Richter, jener Reporter, sich angemeldet, war aber nicht erschienen. Was insofern schade war, als daß er die anwesenden Mädchen herzlich gern persönlich zur Röckethematik hätte befragen können. Das Röckeding, nochmal, ist ein völliges Nebenthema, aber es dient ganz gut zur Erzeugung von vagen Stimmungen. Motto: Was ist das für ein Haushalt, in dem Kleidungsvorschriften von annodazumal herrschen?

Gut: Warum gibt sich unsereins überhaupt mit „diesen Leuten“ ab? Hoffnung? Eitelkeit? Taktik? Ach! Zur Zeit kommen auf 10 Anfragen etwa 8 Absagen. Warum mit jener bekanntermaßen einfältigen Tante/ jenem bornierten Onkel sich treffen? SPIEGELfrollein: never!

Kubitschek (an den die Anfragen ja gerichtet sind) täte ohne meine Einflüsterungen viel weniger zulassen. Ich, nennen Sie mich naiv, denke mir: Wir haben erstens nichts zu verlieren, zweitens nichts zu verbergen. Und im Zweifelsfalls wird ohnehin gemäß der geltenden Agenda berichtet. Einer Agenda, die bekanntermaßen längst fadenscheinig geworden ist.

Ein Wochenausschnitt:

Das war’s. Diesmal mit: guten, schlechten, klugen und dummen Menschen

$
0
0

2. Juni 2016 – Sohn: „In Reli sollten wir heute sagen, was in unseren Augen das Schlimmste sei. K. sagte Krieg, H. Hunger. War mir klar. Ich hab mich mit L. schon so unterm Tisch angestoßen, und wir haben die Augen verdreht, weil’s Strebertum ist. Für V. wäre vermutlich in Wahrheit das schlimmste, wenn sie samstags nicht shoppen gehen könnte.

L. hat dann geflüstert: `Wetten, jetzt sagt R.: `Rassismus´? R. kam dran und sagte, logisch: `Rassismus´. Ich leise zu L. : `Jetzt kommt Armut dran!. ´ A. hatte schon so mit dem Arm gewedelt. Und dann natürlich: `Armut´.“

Zwischenfrage Mutter, also ich: „Wer ist noch mal dieser A.?“ –
„Na, der Hetzer. Kennst Du doch. Der immer zu mir arme Sau sagt, wegen Lederranzen und Vollkornbrot und so. Egal. Jedenfalls haben wir gegrinst, und dann sollte ich sagen, was für mich das sogenannte Schlimmste sei. Schon die Frage! Was für mich persönlich das Schlimmste wär – als würd´ ich das vor allen sagen. Hab ich also gesagt: Massenmigration und vor allem Asylbetrüger.“

- „Und, was sagte der Herr E. dazu?“ – „Nichts. Hat zu allem genickt. Alle sollen jetzt in Gruppen eine kleine Wandzeitung zu ihren Schlimmheits-Themen machen.“

Drei Jungs in der Massenmigrationsgruppe. Zu Hause Materialsammlung. Sohn schneidet zu Hause Artikel und Bilder aus. Sehr fleißig. Liest tagelang dazu. Fragt viel. Inforausch.

9. Juni 2016 – „Wie war eigentlich Reli? Habt Ihr die Wandzeitung fertig?“- „Nö, war blöd. In der ersten Stunde sollten wir alles zusammenstellen. In der kleinen Pause mußte ich auf’s Klo. Währenddessen hatte Herr E. meine Sammlung inspiziert. Dann sagte er zu mir, so sei das nicht gemeint gewesen. Es müsse darum gehen, was Flucht für die Flüchtlinge bedeute, und nicht, was sie für mich bedeute. Beziehungsweise für Deutschland.“

11. Juni 2016 – Was weiß ich von Flüchtlingen? Ich meine, aus dem real life? Ehrlich gesagt: Wenig. Ich lese mir mittlerweile die Sachen an. Einerseits aus den Mainstreammedien, andererseits aus dissidenten Quellen. Da man einigermaßen leseerfahren ist, ergibt sich ein Bild. Erster Hand ist wenig, hier in der deutschdeutschen Provinz.

Das war’s. Diesmal: mit straff gebügelten Hemden, miesen Krähen und anderen Raubgesellen

$
0
0

13. Juni 2016 – Sind gestern versehentlich in eine Messe mit Erstkommunion geraten. Eventüblich viel Neues Geistliches Lied, Getrommel, Geschunkel. Best: Ein kleiner Frauenchor namens Happiness für Go(o)d (oder ähnlich) singt schräg vielstimmig Helleluja, sse lort iss wiss as.

Ich selbst predige den Kindern ja stets, auch gedanklich gut mit gutmeinenden Menschen umzugehen: Die wissen es halt nicht besser! Wie ich aber nun das Gesicht meiner temperamentvollsten Tochter sehe, es rosa geflammt, dann hell – dann dunkelrot anlaufen sehe, Gesicht wird faustförmig, weiß ich: Es ist echt – meine Tochter.

Nachts dann: Manchmal habe ich Musikträume, meist unschöne, dann wache ich von einem allzulauten, häßlichen Ohrwurm („Geiles Leben“ oder so) auf. Heute, dumpf rhythmisch pumpend um halb sechs früh: „Ich bin okay, wenn du okay bist, okay ist alles vor Gott, okay? Ooo…kay!“

– – – – –

15. Juni 2016 – Lese auf dem Twitter-Konto von Dieter Stein, daß er (Stein) irgendeinen Netzartikel „genial“ findet, in dem es über den „pathetischen, gequirlten Quark“ gehe, den „Höcke am Kyffhäuser absonderte“. Gut. Lese ich halt das „geniale“ Stück über das Treffen des AfD-Flügels von Anfang Juni. Der erste Satz:

Der kurzgeschorene rechtsintellektuelle Götz Kubitschek, Herr über Rittergut Schnellroda, erscheint im akkurat gebügelten Schwarzhemd. Sicher vorbildlich von Hand mit einem kohlebeheizten Plätteisen glattgeprügelt, der Mann schwört schließlich auf Traditionen.

Da rauft sich die Hausfrau die Haare: Die lügen mir ja sogar in meinen Haushalt hinein! Die Wahrheit ist, daß es im Rittergut weder ein vorsintflutliches noch ein topmodernes Bügeleisen gibt. Die Wahrheit ist, daß auf jeder Veranstaltung mich ein Herr/eine Dame freundlich-gönnerhaft zur Seite nimmt: Dann geht es entweder um die Bügel- oder die Krawattenfrage. Machen wir nicht, besitzen wir nicht. Übrigens nicht mal sogenannte knitterfreie Hemden.

Ich schiebe den falschen Eindruck nicht auf den Autoren und sein akkurat gebügeltes Weltbild, sondern auf die ordentlichen Muskeln meines Mannes, die offenkundig auch ein knittriges Hemd straffen. Glattgebügelt wird hier schon mal gar nichts.

Ach, und noch was aus dem Artikel, den Dieter Stein so „genial“ findet: Darin kriegen auch intellektuelle Größen wie Karlheinz Weißmann und Alain de Benoist ihr Fett weg. Komisch, beide sind Hauptschreiber von Dieter. Genial.

– – – – –

16. Juni 2016 – Während meine größeren Kinder in weiter entfernt Orten ihre Ringen-, Handball- oder Musizierstunden wahrnehmen, pilgere ich meistens mit der Jüngsten durch Kleingartenanlagen. Hab ich schon öfter geschrieben, warum ich die „Anlagen“ so liebe. Ich halte auch im Ausland an diesen Gartenkollektiven.

Man sieht in Gartenanlagen den Charakter des Eigentümers in nuce, davon bin ich überzeugt. Spießergärten (vor allem kurzer Rasen, eine traurige Plasterutsche), Wildgärten, Saubergärten (unkrautfrei), Prachtgärten usw.: das ganze Volk, zumindest das nicht-urbane; hinreißend! Schon die Art des Zauns ist so vielsagend! Jägerzaun? Stakete? Grünes Metall? Draht? Buchs? Buche?

Juli Zeh: Unterleuten. Roman – eine Rezension

$
0
0

Juli Zeh_UnterleutenRezension aus Sezession 72 / Juni 2016

Ach ja, Juli Zeh. Die einundvierzigjährige Autorin gilt seit langem als »engagiert«, äußert sich gern politisch (im Grunde sozialdemokratisch, fallweise pro »Piraten«, zuletzt zugunsten der merkelschen Flüchtlingspolitik) und ist promovierte Juristin. Ein Portfolio, das nicht eben typisch ist für eine deutsche Erfolgsschriftstellerin.

Dies ist ein Profil elitären Mittelmaßes, mit gerundeten Kanten: gegen Ausspähpraxis, für »humane Werte«, so in etwa. Wie schlägt sich das literarisch nieder? Erwartbar? Nein: gar nicht.

Juli Zehs Anspruch, mit Unterleuten einen »großen Gesellschaftsroman« vorzulegen – er dürfte eingelöst worden sein. So können literarisches und »gesellschaftliches« Ich einander fremdgehen! Unterleuten (graphisch auf dem Buchumschlag: Unter Leuten) ist ein Kaff im Brandenburgischen. Alte DDR-Opfer leben hier Zaun an Zaun mit damaligen Nutznießern, hinzu kommen ein paar zugezogene Städter.

Auch die Bonnerin Zeh ist in der brandenburgischen Provinz heimisch geworden. Große Publikumsverlage verlautbaren seit langem, daß ein Großteil der »unverlangt eingesandten Manuskripte« dem Romanmuster »Landei gerät in den Großstadtdschungel« folgen. Könnte sein, daß die umgekehrte Migrationsrichtung ein höheres, weil abgeklärteres Reflexionsniveau beinhaltet. Hier jedenfalls trifft die Vermutung zu.

Zeh kennt ihre Pappenheimer, durchschaut nicht bloß Landlust und -frust, sondern hebt die (neo-)ländliche Szenerie auf die Stufe eines fein ziselierten, hervorragend beobachteten gesamtgesellschaftlichen Panoptikums. Das heißt, nein, etwas fehlt: Es gibt in Unterleuten keine Migranten. Eine andere Art Ansiedlung steht bedrohlich (wir schreiben 2010) ins Haus: Ein gigantischer Windpark soll entstehen, Befehl von oben, Regierung, EU.

Im Kern ist die Parallele zur oktroyierten Menschenmassenansiedlung, wenn auch sicher nicht intendiert, so doch bestechend: Fast keiner will sie, es gibt reichlich Gründe, sie abzulehnen. Aber weil klar ist, daß sie kommen, möchte doch der eine oder andere seinen Profit schlagen aus dem Unabwendbaren.

Juli Zeh liefert mit ihren messerscharf profilierten Prototypen keine Klischeebilder, sondern ausdifferenzierte Individualporträts. Etwa von Gerhard Fließ, dem nervösen Vogelwart, der zugunsten seiner viel jüngeren Frau die Unikarriere an den Nagel gehängt hat und nun in Unterleuten als gutmenschlicher Besserwisser durchstartet, im fatalen Irrtum, mit eloquenten schriftlichen Eingaben gäbe es ein Durchkommen vor Ort.

Das war’s. Diesmal mit: Schwarzen und Weißen, Lou Salomé und multirassischem Kindergarten

$
0
0

12. Juli 2017 – Die Minuten nach einem gemeinsam gesehenen Kinofilm sind in unserer Familie stets heikel. Bei uns wird während eines Films nicht geflüstert und getuschelt. Es bleibt also bis zum Ende unklar, wie der andere es fand.

Es gab schon Fälle, wo man nach der Vorführung auf der Straße stand und gemeinsam tief seufzte. Allerdings kam aus dem einen Mund das Urteil „unterirdisch!“, aus dem anderen „genial“. Und dann wurde die Heimfahrt über gestritten. Selten, aber gelegentlich doch.

Abbrüche erfolgen, wenn, dann unter meiner Regie, Kubitschek neigt da zu geldökonomischen („wir haben doch bezahlt!“), ich zu zeitökonomischen Überlegungen („der Mist klaut mir Lebenszeit!“).

Heute war ich mit den beiden großen Mädchen „Lou Salome“ anschauen. Gutes Omen war schon mal, daß wir schwiegen, wo das Restpublikum (ausverkaufter Saal!) lachte und dort lachten, wo die anderen schwiegen. Nach dem Abspann auf der Straße aus drei Mündern: „Hinreißend!“ „Unglaublich gut!“ „Perfekt!“.

Ach, wie gut, wie hervorragend hat uns dieser Film (Regie: Cordula Kablitz-Post) gefallen! So recht nach unserem Geschmack. Besonderes Kunststück: wie hervorragend die Protagonisten (Nietzsche, Nietzsches Schwester Elisabeth, Paul Rée, Malwida von Meysenburg, Lou selbst in drei Lebensaltern ohnehin) besetzt waren – schier unglaublich. „Ist übrigens ein hübsches Poem von Lou Salome; könnt Ihr Euch merken“, doziere ich und wiederhole: „Die Welt, sie wird Dich schlecht begaben, glaube mirs, sofern Du willst ein Leben haben, raube Dirs!“ Die Töchter, milde: „Ja, Mama. Die Lou-Salome-Postkarte mit diesem Zitat hast Du uns schon vor Jahren geschenkt. Ham wir längst kapiert.“

14. Juli 2016 – Schlechte Ernte, gute Ernte: Wie jedes Jahr (seit 13 Jahren) wird es bei uns aus 30 Tomatenpflanzen ungefähr 10 Tomaten geben. Wenigstens 300 wären denkbar und wünschenswert. Es muß eine Art Tomatenfluch über unserem Haus liegen. Die Samen sind teils konventionelle Ware („Harzfeuer“), teils aus Ökobestand (Ochsenherz, Berner Rose etc.). Die Pflanzen sind teils mickrig, teils äußerst opulent. Früchte aber: halt höchstens zehn; maximal zwei pro Pflanze, normal: null. Warum nur? Theoretisch bin ich mittlerweile Tomatenspezialistin (ausgeizen, günstige Nachbarbepflanzung etc.), aber es trägt nichts aus. Teils wachsen sie in großen Kübeln voller Mist, teils auf Hügelbeeten, teils im Gewächshaus. Tomaten hassen uns, es muß so sein.

Wir haben dieses Jahr keine Mäuse, keine Schnecken, aber tausende Kartoffelkäfer (dorfweit), eine tolle Kinderbeschäftigung (das Absammeln) und eine Freude für die Hühner.

Ja, die Tiere! Die vermehren sich fleißiger denn je, und es ist so süß! Enten, Hühner, Katzen, Kaninchen! Unsere menschlichen Kinder waren begeistert von der Idee eines multirassischen Kindergartens. Klang wie immer toll, hat wie immer schlecht funktioniert. Katzenbabies und Kaninchenbabies: geht grad so. Man merkt einen deutlichen Intelligenzunterschied zugunsten der Katzen. Die Hühnerküken, meine absoluten Lieblinge, unterliegen leider allen anderen Altersgenossen. Die Entenküken, das haben sie von ihrer dummen, einfältigen Mutter und dem nicht nur dummen, sondern auch häßlichen Vater, unserem Knorpelerpel gelernt, reagieren einfach nur phobisch auf alles, was nicht Entenküken heißt.

Mediennetzwerke und Masseninstinkt

$
0
0

Soziale-Netzwerke-Freunde-finden-im-Internet-articleImage-4be90342-380611Neon ist gewissermaßen die Jugendausgabe der Politillustrierten Stern. Kernzielgruppe: überdurchschnittlich verdienende Jungakademiker. Die Mai-Nummer wartete mit Porträts überdurchschnittlich gutaussehender pornoschauender Studenten auf und mit einem Extra zum Thema Miete (»Was ist eine Mietkaution eigentlich?«). Normale Fragen normaler Postadoleszenten!

Mittendrin aber unternimmt der Journalist Marco Maurer ein unerhörtes Wagnis: Er besucht mit seinem leicht-nach-rechts-tickenden Vater eine AfD-Veranstaltung. Aus jeder Zeile dieser Langreportage sind bohrende Skrupel, gepaart mit dem Gefühl, ein konventionenbrechender Draufgänger (man geht zu den wirklich Krassen!) zu sein, herauszulesen:

Viele meiner Freunde sagen, sie können sich diesen innerfamiliären Konflikt nicht vorstellen. Konservatismus kennen sie nur aus den Artikeln des FAZ-Journalisten Jasper von Altenbockum. Wir leben alle in einer Filterblase, die Freunde und Twitter haben ähnliche Meinungen, die Familie meist auch.

Problem (Filterblase, Meinungstrichter, Sagbarkeitsenge) erkannt – Problem gebannt? Mitnichten. Herr Maurers Blick verbleibt in seiner betonierten Fokussierung, deshalb sieht er bei seiner Expedition vor allem dicke Bäuche und häßliche Nasen (ausgerechnet!).

Von meinen halb- und dreiviertelpolitisierten Freundinnen kenne ich diese Gemengelage. Heißt, diesen Meinungskorridor, der so schmal ist, daß sogar Menschen mit stromlinienförmig trainierten Körpern den Bauch einziehen müssen, um ohne anzuecken passieren zu können. Wiebke, so will ich sie hier nennen, präsentiert mir häufig WhatsApp-Nachrichten und Facebook-Meldungen ihrer »Freunde«: »Hier, lies mal. Heute bereits über tausendmal geteilt. Ich sag dazu ja nie was. Es ist mir zu bescheuert.«

Mit Johnny – ihrem Freund – lache sie sich manchen Abend schlapp über die Willkommenshysterien und linkslinken Empörungseinträge ihrer Freunde. Frage: Warum nicht mal einen kessen Gegenstandpunkt setzen? Wiebke:

Ach, hör auf. Im Grunde ticken wenigstens Johnnys Leute doch alle ganz anders. Ich mein, das sind Leute, die im Leben stehen. Was wirklich los ist, spielt in diesen Netzverbindungen aber keine Rolle. Der Micha beispielsweise, Expunk, hatte mal halbironisch auf so ein Bestmenschen-Posting reagiert. Da war die Hölle los. Für nichts! Außer, daß man sich von Micha entfreundet hat. Du mußt dich halt entscheiden. Du kannst mit dem Mainstream gehen und auf all diese Empörungszüge aufspringen, man kann sich ja völlig problemlos reinsteigern in diesen linken Kitsch, oder du kannst einfach die Klappe halten und dir das gepostete Zeug im doppelten Wortsinne durch den Kopf gehen lassen. Oder aber du hältst dagegen, Worst case: Das heißt in der Konsequenz, daß du Adé sagst zu deinem sozialen Umfeld, zu Leuten, die dir aufgrund gemeinsamer Erlebnisse was bedeuten. Das heißt, daß du dich bis zum Gehtnichtmehr rechtfertigen mußt. Und daß die ganze Argumentiererei, egal, welche Fakten du anbringst, zu nichts führt. Du hast deinen Stempel, du bist markiert. Johnny und ich, wir haben unsere Meinung, wir haben aber keine politischen Ambitionen, wir sind auch keine Helden. Also: Klappe halten. Um so schöner, wenn man mal durch Zufall und übrigens immer öfter erfährt, daß es diesem oder jenem, von dem man es nicht gedacht hätte, ähnlich geht.

Das war’s. Diesmal mit: Toni Erdmann, Ausländernarben, Ausländerkörpern, Deutschausländern

$
0
0

24. Juli 2016 – Radle mit einer Tochter ins Kino. Gucken „Toni Erdmann“. Dachte, wenn das Feuilleton rundum schier ausflippt vor Freude über den Streifen, kann der Film nicht ganz schlecht sein. War er aber; banal, langatmig und sterbenslangweilig. Tiefer Seufzer: Wo kann man „der Presse“ und ihrem kruden Geschmack noch trauen…

Auf dem Rückweg versagt das Fahrrad der Tochter. Nichts geht mehr. Wird geschoben. Es regnet in Strömen. Ist ein warmer Regen, wir genießen es. Nach neun Kilometern sind es nur noch zwei Sekunden zwischen Blitz und Donner. Ich rase heim (Elternhaus, Offenbach), während die Tochter sich in einem Hauseingang unterstellt.

Zu Hause muß ich duschen, es wird (da nun noch kaltgefroren) leider überlang. Breche drum verspätet mit dem Auto auf, finde die Tochter nicht mehr. Bin längst schon wieder naß bis auf die Knochen, als sie aus dem Haus tritt, sich entschuldigend: Sie habe sich während der langen Wartezeit verquatscht.

Mit´nem echt netten Jungen. „Nationalität?“ – „Hab ich nicht gefragt, jedenfalls Alewit. Der hat sich mit seinen Eltern verkracht und hat nun vom Jugendamt die Wohnung dort bekommen.“ – „Und ihr habt euch richtig gut verstanden?“- „Na, was heißt ´verstanden´. Der war total freundlich, konnte aber sehr schlecht deutsch.“- „Wie lange schon hier?“ – „Seit Geburt. Naja. Hat er sich auch entschuldigt für. Meinte so lachend: ´Das ist natürlich ein Problem, wenn man nur mit Ausländern zu tun hat. Erst die Eltern, dann die Freunde, so wird das halt nie was.´“ – „Und, was denkst Du? Problem benannt, Problem gebannt? Ich mein, wird er dran arbeiten, am Sprachproblem?“ – „Nö, eher nicht. Wieso auch, er kommt ja anscheinend auch so ganz gut durch, mit, haha, Mittelhochdeutsch.“


Das war’s. Diesmal mit Anglerinnen, Kartoffelkäfern und game jam

$
0
0

anglerin15.8. 2016 – Immer wieder sehr gern lese ich den Newsletter der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Leider schon vorbei ist dieser crazy-coole Workshop:

Game Jam
Flucht und Vertreibung
05.-07.08.2016, Berlin
Drei Tage Kreativität, Innovation und eine entspannte Atmosphäre. Entwickeln Sie mit Kreativen aus ganz Deutschland Ihre eigenen Spiel-Ideen!

Unser Ziel: Games-Prototypen zum Thema „Flucht und Vertreibung“.
Der bpb:game jam bietet den Teilnehmenden offene Barcamp-Sessions und einen Working Space, um mit den Schaffensprozessen und den ethischen Dimensionen digitaler Spiele zu experimentieren.

Nebenfrage: Gibt es keinen lässigeren Ausdruck für „Vertreibung“?

– – – – –

16. 8. 2016 – So viele Kartoffelkäfer waren selten. Kinderarbeit. Ich bin der Sklaventreiber. Allerdings streiche ich in einer Viertelstunde so viele Invasoren ab wie alle beteiligten Kinder. Wettbewerbsstimmung hilft wenig. Gerade die Maden werden als eklig empfunden. Igittigittgejaule.

Wir kippen Käfer und Maden ins Hühnergehege. Ein gigantischer Wimmelplatz. Die dummen Hühner glotzen und scharren. Keines will picken. Verwöhntes Gesocks! Wir müssen rein ins Gegehe und die Schädlinge selbst eliminieren. Unschön! Unerklärlich: Total abgefressene Pflanzen, dennoch eine Musterernte. Ad Grambauer: Ich weiß, Rudolf Steiner rät ab, weil Kartoffeln träge machen… Nicht unser Problem!

– – – – –

17. 8. 2016 – Vor gut einem Jahr wurde die ICE-Strecke zwischen Erfurt und Halle eröffnet. Die Gleise sind nur anderthalb Kilometer vom Rittergut entfernt. Leiderleider ohne Zwischenhalt Schnellroda! Heute warte ich länger mit dem Mittagessen auf die Neugymnasiastin. „Was war denn los?“ – „Der Bus hat auf der Brücke gehalten. Und gewartet, bis der ICE durchgefahren ist. Ich glaube, der Busfahrer fand das am tollsten.“ Ich liebe die Provinz.

– – – – –

18.8. 2016 – Wenn ich (Vollmond!) nicht schlafen kann, greife ich gern zu Schmökerware. Sehr beliebt: die „Kleine Enzyklopädie – Die Frau“, DDR-Kulturgut. Ich mag dieses Buch. Das von einem gelehrten Autorenkollektiv verfaßte Handbuch zu allen erdenklichen Themen mit weiblicher Relevanz (von „Sexualdifferenzen im Krankheitsbefall“ über die günstige und anmutige Körperhaltung beim Warten auf den Bus, Schminktechniken, altersgemäße Kleidung bis zur Bedeutung der „Frau im Kampf um den Frieden“) ist 1961 erstmals erschienen. Bis 1989 erlebte es zahlreiche Auflagen.

Das war’s. Diesmal mit sehr vielen Syrern: am Badesee, beim Erstehilfekurs, im Ikea-Katalog

$
0
0

25. August 2016 – Tochter absolviert Erste-Hilfe-Kurs. „Und, wie war´s?“ „Naja, unprofessionell. Sollten ja neun Schulstunden sein, ist so gefordert, der Kerl hat das aber in zwei Vollstunden durchgezogen. Wegen ´dem Klima´, sagte er.“ – „Uns sonst?“ – „Naja, ein Syrer war mit dabei. Also, ich sag mal `Syrer´, ich hätte es eigentlich gern genauer gewußt. Der konnte aber überhaupt kein Deutsch, kein Wort.“

„Und, war das nicht ein Problem?“ – „Na, voll! Das alles lief ja verbalisiert ab, größtenteils. Der brauchte das für’n Führerschein. Der Fahrlehrer hatte mich gebeten, ihm wichtige Sachen zu übersetzen. Stellte sich aber heraus, daß der kaum Englisch konnte.“ – „Ah, witzig. Aber Geld für´n Führerschein?“ – „Ja, sehr komisch. Superteure Klamotten, richtig gestylt, neuestes Smartphone, das war dauernd in Gebrauch.“ – „Vielleicht wegen Übersetzungshilfe?“- „Nee, das garantiert nicht, das war mit Musik.“

– – –

25. August 2016 – Als wir letzthin an unserer „geheimen“ Badestelle schwimmen gingen, schlugen sich drei, vier Familienmitglieder zunächst mit Sammelkörbchen in die Brombeeren. Ich mit drei Töchtern wählte Freizeit: gleich rein ins kühle Naß. (Unsereins trägt übrigens seit vielen Jahren ein sittsames Badekleidchen, ein Zwischending zwischen Bi- und Burkini also.) Daß sich ein Typ (Typ: „ junger Syrer“) am Rande unserer Einstiegsstelle niedergelassen hatte, bekam ich am Rande mit. Na und!, ich kraulte los.

Hörte dann aus weiter Entfernung, daß es da draußen einen Disput gab, gellende Stimme der Ältesten, die allein noch am Ufer war: „Dann hau ab! Hau einfach ab!“ Ich machte mir keine großen Sorgen, die Tochter ist stark und hat als Kräutersammlerin (große Portionen Pfefferminze waren bereits im Stoffsack) seit frühester Jugend immer ein scharfes Messer dabei. Der Typ gab aber leise Widerworte und blieb hocken, also kehrte ich um. Der Kerl verschwand, bevor ich das Ufer erreichte. Tochter erzählte, der habe sich „untenrum“ manipuliert und „ I just look, just look“ gesagt.

Heute sind wieder „Syrer“ an der „geheimen“ Badestelle, Mücheln hat sich in den letzten achtzehn Monaten ja stark verändert. Nun waren es aber echte Syrer, Kurden, Mann und Frau. Man kommt ins Gespräch. Akademiker. Er kann sehr passabel deutsch. Interessiert mich: woher sie kommen, wie es ihnen gefällt, welche Perspektiven sie sehen. Töchter lauschen dem Dialog und werfen sich Blicke zu, als das Gespräch „Tendenz“ bekommt.

Der freundliche Syrer antwortet stromlinienförmig: Doch, die Leute hier seien sehr nett. Überhaupt seien alle Leute im Kern nett, insofern gäbe es keine Unterschiede. Es gäbe ja nur eine Welt, und wenn es überhaupt Unterschiede gäbe, dann aufgrund mangelnden Wissens. In Wahrheit seien wir ein globales Dorf, und diese Einsicht müsse sich durchsetzen. Wir hätten alle ein Herz und eine Seele, und… Daß ich an diesem Punkt innerlich unwillig werde, liegt daran, daß sich just ein Ohrwurm eingeschlichen hat in „mein Herz und meine Seele“, nämlich We are the world, we are the children, und ich kann solchen Säuselpop nicht leiden.

Ich verlasse die Uferzone und schwimme los: „Na los, es ist schön warm! Wagen Sie es!“ Er: „Oh nein, für uns ist das zu kalt!“ Tochter, die griesgrämige, folgt mir und schaltet sich ein: „Na sehen Sie, es gibt halt doch Unterschiede.“ Sie bleibt übertrieben lang drin, ihr blonder Schopf verschwindet irgendwann zwischen den Booten in der Seemitte. Klarer Fall von Temperaturerhöhung.

– – –

26. August 2016 – Es ist schon einiges geschrieben worden über den neuen Ikea-Katalog und diese gefühlsduselige Masche, den Käufer („Du“) in eine globale, ästhetisch verkürzte Weltfamilie einzuladen. „Zuhause kannst du deine Individualität rundum ausleben. Im IKEA Katalog 2017 findest du jetzt jede Menge Inspiration und Produkte, die genau zu dir passen.“

Genau zu D i r! Das numinose individeuelle Ich & Du ist gleich auf dem Katalogcover abgebildet, eine multikulturelle Truppe tafelt hier. Eine üppig dunkelgelockte Weiße wirft einer tiefdunklen Rastafrau schelmisch eine Sentenz zu, die antwortet keck und mit hochgerecktem Kinn mit einer Gegensentenz, derweil der vollbärtige „Syrer“ wissend und schelmisch in sich hineinlacht.

Von der Blondine mit lockerer Flechtfigur sehen wir nur den Rücken, aber sie wirkt durchaus beteiligt und eingebunden. Kerzen erhellen die Szenerie, eine Gitarre steht bereit, gleich wird es bedeutsame, wenngleich entspannte Weltmusik geben. Alles ist okay. Ikea bietet auch Unkonventionelles an für draußengrillende Familien („Diese Schale wurde für alle entworfen, die nicht nur am Esstisch essen“).

Und natürlich werden alle Farben abgebildet, Menschenfarben, ich meine: geistige. (Ich meine so flapsig: „Naja, ein paar Behinderte fehlen…“ – „Quatsch. Hier fehlen Nichtbehinderte!“) Hier haben sie zum Beispiel, defintiv non-handicapped Alain de Benoist gewinnen können, der sich gerade von einem Asiatenkind einen flauen Witz erzählen läßt. Lachen hält jung, wie man sieht.

– – –

27. August 2016 – Ein Jörg hat einen Artikel geschrieben. Über „Bionazis von nebenan“. Gemeint sind Leute, die sich „als Ökobauer, Schmied oder Imker ausgeben“ (!), in Wahrheit aber „Dorfstrukturen unterwandern und rechtsextremes Gedankengut verbreiten“ wollen. Eine anonyme sechzehnjährige Aussteigerin berichtet (und „beginnt zu weinen“): Von der Hakenkreuztätowierung auf dem Rücken der Mutter (als „Freundinnen“ das „entdecken“, „laufen sie entgeistert weg“) , von einem Kalenderblatt des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP, das herumhing, von Schlägen, Zwangszopfflechtungen und der Aufforderung „möglichst viele arische Kinder zu bekommen“.

Weiter geht es um Kinder, die nicht mit Lego spielen dürfen, sondern das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 aus Sperrholz sägen müssen. Soll man drüber lachen oder weinen? Es hängt wohl vom Wahrheitsgehalt dieser Schilderungen ab.

Jedenfalls werden auch wir in diesem Großartikel, der dieser Tage von zahlreichen Lokalzeitungen gedruckt wurde, „zur Bewegung“ gezählt. „Auch Kubitschek lebt in völkischer Siedlertradition mit seiner kinderreichen Familie auf einem Gut in Schnellroda in Sachsen-Anhalt.“ Ich ergänze: der Kerl gibt sich als „Verleger und Publizist“ aus.

Das war’s. Diesmal mit: Che, Trüby, Sitte und – Schnellroda

$
0
0

2. September 2016 – Irgendwann hatte ich das schon mal berichtet: Unsere Tochter wurde freundlich ermahnt, weil sie im Sportunterricht ein Hemd mit „dem Konterfei von Rudolf Heß“ getragen habe. Lehrerin (wohlgemerkt eine echte Pädagogin, der man die Kinder gern anvertraut): „Der Heß, naja, er war definitiv eine zwielichtige Person.“ In Wahrheit trug die Tochter dies (in Schwarz), und die Causa löste sich in Wohlgefallen auf.

Nun, da die Schule eine „ohne Rassismus“ geworden ist, wurde die Schulordnung um einen Kleidungspunkt ergänzt. Man darf nichts tragen, was geeignet ist, die Gefühle anderer zu verletzen. Klar, fühlt sich gut an. Ein kurzer Disput mit einer Mutter, die sich schwer dafür einsetzte.

Ich: „Ja, das ist richtig und trägt zum Schulfrieden bei. Nur müßte das konsequenterweise wirklich für alle gelten. Ich mein, ich seh hier – guck mal kurz nach links, dort hinten – eine Sechstkläßlerin mit einem Valerie-Solanas Zitat auf der Brust…“

Ich hebe mit einer Erklärung an, wer Solanas war, da unterbricht sie mich: „Naja, manches ist halt so… so populär, sag ich mal. Ich mein, wir würden jetzt niemanden den Che verbieten. …“ – „Was? Che Guevara, den Massenmörder?!“ – „… naja, müssen wir jetzt nicht diskutieren. Kannste nicht bringen, den tragen heute so viele… Da würden wir uns peinlich machen…“

Das war vor den großen Ferien. Ein Mäuschen hat meinem Sohn nun berichtet, daß im Ethikunterricht darüber diskutiert wurde, was man dazu sagen solle, daß der Sohn ein Hitlerportrait auf dem Hemd trage. Ich: „Aber der Herr P. hat die Klasse wohl aufgeklärt, was der Unterschied zwischen Hitler und Stauffenberg ist und daß beide eigentlich kaum zu verwechseln sind??“ – „Na, weiß nicht. Hoff ich doch.“ Ich auch.

– – – – –

3. September 2016 – In der aktuellen ZEIT ein Artikel über „Rechte Räume“ von einem Herrn Trüby, der sich für Architektur interessiert. Es geht um „völkische Siedlungen“, die die „Rechten“ errichteten, um gegen den „Volkstod“ anzuleben. Leute, die „neurechts siedeln“ (komischerweise fühle ich mich bis dahin nicht betroffen, ein „Siedler“gedanke ist mir zwar nicht unsympathisch, wurde von uns aber nie angestrebt), griffen, sagt Herr Trüby, „auf Denkfiguren zurück, die, bevor sie im Nationalsozialismus und seiner Tötungsmaschinerie scharf gemacht wurden, auf die ausgehende Kaiserzeit (….) zurückdatieren.“

Dann geht’s weiter im Text mit Udo Pastörs von der NPD, André Poggenburg (AfD), Wehrsport-Hoffmann und- „uns“, Schnellroda. Allen gemein (und wie gemein!): Daß sie im leeren Osten „siedeln“. Man könnte natürlich auch sagen: ein Eigenheim bewohnen. Zu Schnellroda: Getadelt wird vom Herrn Trüby unter anderem die „Heruntergekommenheit des Anwesens, dessen Mobiliar an Vereinsgaststäten mit Draußen-nur-Kännchen-Tristesse gemahnt“.

Kulturfreund Trüby zählt zu den Unterzeichnern eines offenen Briefes „Gegen die Salonfähigkeit neuer Rechter an der HFG Karlsruhe“ von Oktober 2015, in dem es speziell gegen den langjährigen Sloterdijk-Assistenten Marc Jongen ging. Ich äußere mich sehr selten zu solcher Art „Berichterstattung“. Hier ging mir einiges auf den Keks, und ich war schlechtgelaunt. Ich schrieb dem Herrn Trüby drei, vier Punkte auf mit dem Hinweis, doch mal zu „googlen“. Es kam keine Antwort. Typische Tratschtantenmentalität: das Mäulchen plappernd aufreißen, aber nur „über“ reden wollen, gern gerüchtegespickt, aber nicht „mit“.

Das war’s. Diesmal mit: Männern mit Dutt, Armin Nassehi und dem Mythos vom fremden Vergewaltiger

$
0
0

11. September 2016 – Im Spätherbst wird ein kleines Buch- Die Einzelfalle – von mir erscheinen. Zu einer Sache, die mir ernsthaft unter den Nägeln brennt: Über den arabischen/muslimischen Männerblick auf europäische/deutsche Frauen. Ich sehe nicht, daß, selbst „nach Köln“ das Thema irgendwie „durch“ ist. Im Gegenteil, ich denke, es wird noch ein ganz böses Erwachen geben.

Für die „Bundeszentrale für politische Bildung“ (BpB) sollte zur bewußt polemischen Frage „Nach Köln: Bringen die Flüchtlinge eine Vergewaltigungskultur mit?“ eine dezidiert linke Journalistin zur Feder greifen. Hannah Wettig schreibt für die Jungle World und die Jüdische Allgemeine, sie hat Arabistik und Arabisch studiert, zahlreiche arabische Länder bereist und engagiert sich gegen Assad. Beste Voraussetzungen, um einen Artikel für das Online-Portal der BpB zu schreiben, oder?

Ich erlaube mir, den Vorfall mal ausführlich wiederzugeben: Wettig (Jahrgang 1971) schreibt:

Ein Freund riet mir, den Auftrag abzusagen.(…) „Willst du wirklich schreiben, dass es keinen Zusammenhang mit dem Islam gibt?“ – „Nein, aber das können sie auch unmöglich von mir erwarten. Sie wissen doch, was ich dazu schon geschrieben habe.“ (…) Ich glaubte tatsächlich, dass die Agentur mich mit Bedacht als Autorin ausgewählt hatte. Das Ganze war schließlich genau mein Thema. Schon vor über 20 Jahren hatte ich angefangen, mich mit sexualisierter Gewalt zu beschäftigen – in Ägypten notgedrungen, denn ich lernte damals Arabisch in Kairo. Das Ausmaß an sexueller Belästigung, das ich dort erlebte, hat mich als 24-jährige Studentin nachhaltig verändert. Ich musste lernen, taub zu werden, sobald ich die Straße betrat, niemals im Taxi vorne einzusteigen und unbeschadet an Menschengruppen vorbeizukommen.Es gab schon damals ein großes Munkeln: Jeder wusste es. Reiste eine Frau nach Nordafrika, kamen sofort die Warnungen. Aber in Büchern fand ich fast kein Wort dazu.

(…)Darüber hatte ich schon oft geschrieben und nun schrieb ich es also auch für die „Bundeszentrale für politische Bildung“ – mit Zitaten, Namen und Ortsangaben. Lange erhielt ich keine Antwort. Zwei Monate später kam die Absage: Qualitätskriterien nicht erfüllt. Nachbesserung zwecklos.
Wieder und wieder las ich die E-Mail, dann den ursprünglichen Auftrag und meinen Artikel. Ich hatte den Auftrag exakt abgearbeitet. Ich hatte mich mit rassistischen Orientbildern auseinandergesetzt und die Kulturthese abgelehnt. „Habe ich dir doch gesagt“, sagte mein Freund. „Das wollen sie nicht hören.“ Aber was wollten sie denn hören, wenn sie eine solche Frage stellten?
Meiner Frage hat sich nur die Antonio-Amadeu-Stiftung in einer von der Bundesregierung finanzierten Broschüre gewidmet: „Das Bild des übergriffigen Fremden – Warum ist es ein Mythos?“ Darin heißt es, dass 13 Prozent aller Frauen in Deutschland strafrechtlich relevante Formen sexueller Gewalt erlebt haben. Die meisten davon kennen den Täter. „Der ‚fremde Täter’, der am unbekannten Ort überfällt, gewalttätig und übergriffig wird, ist statistisch belegt eher die Ausnahme“, schreiben die Autorinnen. Daraus folgern sie, dass der Übergriff des Fremden in den meisten Fällen ein Mythos sei.
Aber was ist, wenn der Übergriff mal kein Mythos ist – wie in Köln? Zu Köln schreiben sie, es gebe nicht genügend Fakten, Vorverurteilungen seien rassistisch. Das war schon kurz nach der Silvesternacht eine sehr gewagte Behauptung. Heute wissen wir, dass die meisten erfassten Täter aus Nordafrika stammten. Und genau dort ist es ganz anders, als die Stiftung schreibt.
Nicht für alle Länder gibt es Studien. Aber in Ägypten hat sogar die UN-Frauenorganisation eine durchgeführt. Danach sind nur sieben Prozent der Täter Freunde und Verwandte, weitere zehn Prozent Kollegen. Alle anderen sind Fremde. In dieser Studie geben 99 Prozent der befragten Frauen an, sexuelle Gewalt erlebt zu haben. Darunter 60 Prozent, die angeben, erst kürzlich begrabscht worden zu sein.
Mit diesem Wissen empfinde ich die Broschüre der Antonio-Amadeu-Stiftung zum „Mythos des übergriffigen Fremden“ und auch die Reaktion meiner Agentur als reinen Hohn. Es handelt sich eher um politische Unbildung – ja Verdummung.

– – – – –

14. September 2016

Ich habe geschwiegen, als das Drogerieregal für Herrenkosmetik breiter als zwei Meter wurde.
Ich habe geschwiegen, als rosa Herrenhemden Mode wurden.
Ich habe geschwiegen, als Männer begannen, meine Rede mit „okay./okay.“ und „spannend!“ nach Weiberart zu beflügeln.
Ich habe sogar Männer mit Tragetuch verteidigt, wenn andere über solche Papas spotteten.
Auch vegane Männer habe ich verteidigt.
Aber zu den derzeitigen Heerscharen von Männern mit Dutt kann ich nicht schweigen. Es muß raus: Ihr Modeopfer, ihr Lackäffchen, ihr Stutzer, ihr Schwimmärmeltrager, ihr Stromlinienförmigen, ihr Grazien! Ihr seht vollkommen beknackt aus. (Und jetzt komme mir keiner mit einem historischen/religiösen Bild. Die Typen, die ich meine, haben weder geschichtliche noch religiöse Interessen.)

– – – – –

15. September 2016 – Unter der Rubrik Der Tweet bringt das aktuelle Philosophie Magazin (Oktober(November 2016) einen Twittereintrag von Armin Nassehi: „Islamistischer Terror: wie der Hai oder der Wolf: ein Monster für die Phantasie, eine Mikrobe für die Statistik“.

Mann, Professor! Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich! Erstens: Würden Sie das auch den Terrorüberlebenden und den Angehörigen der Terroropfer , die auf das Konto des Islamismus gingen (lt. Spiegel 28.300 im vergangenen Jahr) ins Gesicht sagen? „Mikrobe?“

Zweitens: Habe kurz recherchiert: Wölfen fielen in den vergangenen 65 Jahren weltweit rund 15 Menschen zum Opfer. Haien in den vergangenen Jahren 61. Selbst wenn die „Dunkelziffer“ hier doppelt- und dreifach so hoch wäre – dieser Vergleich bleibt eine inkohärente Naseweisheit.

Nebenbei: Islamisten mit Tieren gleichzusetzen, das wäre also okay?

Sechs Fragen an Liane Bednarz

$
0
0

lianeFrühmontägliche mail aus dem Lektorenbüro: „Frl. Bednarz geht ab. Einfach herrlich! Macht der Chef was dazu?“
Ich lese mir die aktuelle Causa Bednarz im Netz durch. Muß lachen. Kubitschek am Schreibtisch gegenüber: „Darf ich mitlachen?“

Ich: „Naja, die Bednarz hätte gern mal wieder ein Problem. Von drüben wird gefragt, ob das aufgegriffen werden soll.“
Kubitschek: „Bednarz, Bednarsch. Die mit der Mahnung, oder? Da muß ich nicht eingreifen, das geht seinen Gang.“ [Ich sollte hinzufügen, daß Klaus Bednarz bei meiner schlesischen Verwandtschaft immer als „der Bednarsch“ galt, und das war korrekt ausgesprochen und keine Schmähung.]
Ich: „Mahnung? Es geht um die Liane Bednarz!“
Kubitschek „Ah.“
Ich:„Mann! Sie haben doch sogar mal ein blog verfaßt zu der! Die mit dem Gefährliche-Bürger-Buch!“
Kubitschek: „Ach, klar, die Tertiär-Schreiberin, hehe. Die unter Recherche googlen versteht und unter Journalismus twittern. Und was ist jetzt mit der?“
Ich: „Hm, ein weiterer tragischer Fall. Hochkompliziert.“
Kubitschek:„Bitte in Kurzform!“
Ich: „Die Bednarz hat dem Armin Nassehi Sexismus unterstellt. Ausgerechnet! Der Nassehi wollte das nicht auf sich sitzen lassen. Jetzt hat sie ihr ‚Mißverständnis‘ eingeräumt, die beiden haben sich irgendwie vertragen, und trotzdem beharken sich seither alle möglichen Leute, und die arme Liane kriegt’s voll ab. Der Hammer ist, daß ausgerechnet ihr Gefährliche-Bürger- Co-Autor Christoph Giesa volle Breitseite fährt gegen sie. Ich zitier‘ mal: ‚Oh Gott, wie ich mich für die Person schäme!‘ Oder: ‚Ihre hysterischen Ausraster sind Legion; niemand ist vor ihnen sicher. Jeder, der sie wirklich kennenlernt, wendet sich nach und nach von ihr ab‘, und so weiter! Giesa schreibt, die Bednarz habe zum Schmähbuch vor allem unzusammenhängende Netzfundstellen und eine Rechtschreibeprüfung beigesteuert. Es ist echt köstlich. Da fallen im Netz gerade alle Hemmungen! Auch Patrick Bahners und Andreas Püttmann spielen mit, auf unterschiedlichen Seiten. So was von Realsatire, man kann eigentlich nicht drüber schweigen!“
Kubitschek:„Nebenschauplatz, definitiv. Sollen die Mitarbeiter was machen. Blogartikel.“

Der eine Mitarbeiter (Medizinstudium) aus dem Nebenzimmer schreibt mir zurück: „Psychopathologisches Verdachtsmoment. Will da nichts befeuern.“ – Der andere: „Wenn ich dazu ehrlich was schreibe, bin ich automatisch Sexist. Will ich mir auch noch diesen Schuh anziehen? Neindanke!“

Soll ich also? Muß ich? Etwas schreiben über eine Frau mit Einser-Abitur (L. Bednarz über L. Bednarz), die es seit etwa anderthalb Jahren zu ihrer Lebensaufgabe gemacht hat, als konservative Christin eindringlich vor den „Rechten“ zu warnen? Die ihren ganzen Medienruhm daraus bezieht, als „Konservative“ mittels gestanzter Sätze und zusammengegoogleter Fundstücke noch-Konservativere als „rechtsextrem“ zu brandmarken? Die zuletzt dies twitterte:

Inmitten all des Hasses die Mail eines alten Freundes, nach 20 Jahren Funkstille und die Frage, warum ich null gealtert sei. Hach. :)

Ach. Die Gute. Die Arme. Mein christliches Herz schlägt links. Jetzt bloß nicht ätzend werden und Lianes Twitterprofilphoto gegen heutige Aufnahmen stellen. Ach, man sollte ohnehin nichts „hintenrum“ machen. Immer mit hochgeklapptem Visier – ein gutes Motto! Hab ich je einen „offenen Brief“ geschrieben? Dies ist also vielleicht mein Debüt:

Thomas Wawerka, warum haben Sie keine Gemeinde mehr? – ein Gespräch

$
0
0

pfarrer-wawerkaAls Thomas Wawerka Anfang 2014 seine ersten Kommentare auf diesem Blog verfaßte, freuten wir uns an dem hübschen & subtilen Pseudonym. Der „Wawerka“ aus Erich Kästners Fliegendem Klassenzimmer!  Nach weiteren klugen und besonnenen Beiträgen googleten wir diesem „Wawerka“ ein bißchen hinterher. Witzig war, daß es einen evangelischen Pastor mit Namen „Thomas Wawerka“ (Jahrgang 1975) gleich um die Ecke, im sächsischen Frohburg gab!

Als sich der Verdacht erhärtete, daß hier einer mit offenem Visier schrieb, nahmen wir Kontakt auf. Ob das nicht ein bißchen tollkühn sei, in heutigen Zeiten unter Klarnamen zu schreiben? Nein, beschied Wawerka, er habe ein reines Gewissen. Er predige auf der Kanzel niemals politisch und äußere im Kommentarbereich hier ja nichts, was irgendwie krude oder nicht von dem verbrieften Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sei. Und doch: Die Einschläge kamen näher. Beizeiten wurde Pfarrer Wawerka „ins Gebet“ genommen und seit September ist der Pfarrer arbeitslos. Sein Vertrag wurde nicht verlängert. “Natürlich“ habe das nichts mit seiner politischen Einstellung zu tun. Ich habe mit Thomas Wawerka ein Gespräch über seinen Fall geführt, er selbst ist für Nachfragen oder Unterstützungsvorschläge ab sofort erreichbar unter wawerka(at)sezession.de. Ich leite die Nachrichten an ihn weiter.

Kositza: Herr Wawerka, wen haben Sie vor den Kopf gestoßen? Teile Ihrer alten Gemeinde?

Wawerka: Da ist etliches hinter verschlossenen Türen geschehen, das ich nur zum Teil erfahren habe oder durchschaue. Meine Gemeinde hat jedoch nichts damit zu tun, die hätte mich gern als Pfarrer behalten. Ich pflegte ein gutes Verhältnis zu den Mitarbeitern und eine konstruktive Zusammenarbeit mit dem Kirchenvorstand, die allermeisten Gemeindeglieder kamen gut mit mir klar, und ich mit ihnen ebenfalls. Ich bin von Herzen begrüßt und eher unter Schmerzen verabschiedet worden. Die Entscheidung, meinen Arbeitsvertrag nicht zu verlängern, wurde von meinen Vorgesetzten (dem Superintendenten in Borna und der Personaldezernentin im Landeskirchenamt in Dresden) ohne jegliche Rücksprache mit der Gemeinde getroffen. Das bedeutet, daß es bei dieser Entscheidung nicht um die Beurteilung meiner Arbeit ging, sondern um mich persönlich; darum, ob ich ins Profil der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens passe. Offensichtlich ist das nicht der Fall.

Kositza: Wie hat man das denn begründet?

Wawerka: Die Begründungen waren zum Teil an den Haaren herbeigezogen. Beispielsweise wurde mir vorgeworfen, daß ich mit der kirchlichen Ämterhierarchie nicht klar käme – dabei habe ich das bißchen Hierarchie, das es noch gibt, gegen die fast schon selbstverständlichen Nivellierungstendenzen verteidigt. Oder daß ich illoyal gegenüber meinen Amtskollegen wäre, was ich geradezu grotesk finde, da meine Loyalität schwer zu brechen ist und ich auch mit den linken und/oder liberalen Kollegen stets das theologisch und zwischenmenschlich Einende als Basis suchte – Sie wissen, wie ich mich geziert habe, diesem Interview zuzustimmen, aus Sorge, es könne als Illoyalität aufgefaßt werden.

Der Kern war der für mich absurde Vorwurf der „Menschenfeindlichkeit“. Es gab da einen gut gefüllten Aktenordner, der alle Kommentare enthielt, die ich auf SiN, auf Facebook und wohl auch anderswo gepostet habe. Ich habe immer unter meinem Klarnamen gepostet, und zuweilen habe ich gewiß zugespitzt oder in ironischer Übertreibung formuliert, manchmal auch grob.

Das war’s. Diesmal mit: Geilen Böcken, Afrikanern und Kriegsurenkeln

$
0
0

15.10. 2016 – Mindestens eine unserer Töchter ist ein klassischer Kriegsenkel. Das Thema ist seit Jahren ein Kassenschlager. Die auf dem deutschen Markt verkauften Bücher dieses Genres dürften in die Abermillionen gehen. Da fällt mir ein: Eigentlich ist diese Tochter mit zwei Großmüttern des Jahrgangs 1943 doch eher ein Kriegsurenkel. Das gibt es noch nicht, als Titel – wäre vielleicht lohnend.

Die buchgewordenen Kriegskinder, -enkel und nun eben auch –urenkel zeichnen sich charakterlich durch Sparsamkeit und Vorsorgementalität aus. Sie können es nicht ertragen, daß Dinge verrotten. Man könnte all die Sachen noch brauchen! Was jene Tochter einmacht, lagert und sammelt für eventuell schlechte Zeiten, geht auf keine Kuhhaut. In punkto Trockenobst, sauer Eingelegtem und süß Eingekochtem, Möbeln und Klamotten ist hier bereits für jeden Ernstfall vorgesorgt, auf Jahre.

Kenn ich gut, schätze ich, ist ja keine Untugend. Jetzt aber bekam sie mit, daß unsere Sekretärin ihr schönes Brautkleid entsorgen wollte. Die Kriegsurenkelin ist nun definitiv die unromantischste unserer Töchter. Klar, als Pragmatikerin! Sie probierte das Kleid an, völlig anlaßlos: „Na, ist doch super! Paßt doch! Schön schlicht und doch elegant!“ Kichernd huschte sie durch die Räume. Der Saum der Robe besorgte ein bißchen den immer überfälligen Hausputz.

Ätzte eine andere Tochter: „Merkste was? Den Ballast? Damit kannste nur noch schreiten, nicht mehr durch die Gegend wandern. Heißt: Du bist angebunden. Kleid als Symbol!“ Die Kriegsurenkelin: „Pah! Du kennst mich nicht! Da heb ich mal den Saum, und wetten, ich bin auf zwei Kilometer immer noch schneller als du!“ – „Haha, ja, auf zwei Kilometern, klar. Eine Ehe kann tausende Kilometer dauern.“ – „Na und, du hast ja keine Ahnung, wie schnell und lang ich saumtragend rennen kann!“ Saum-selig hat eigentlich eine andere Bedeutung, oder?

– – – – –

16.10. 2016 – Eine meiner Lieblingskapellen, Darkwood, spielt auf in Leipzig. Grandios! Denk ich an Deutschland… denk ich auch an Darkwood, Finsterwalde. Die Texte: poetisches Raunen um Standhalten, Hoffnung, Verzweiflung, Mut, Bleiben, Waghalsigkeit, Dagegen und Dafür. Zum Glück wohnen wir hier, im Osten! Nur hier ist so etwas zu haben, zu hören. Ich stehe in zweiter Reihe, seltener Moment: Es nimmt mich mit.

Vor mir ein Pärchen mit markanten Zügen, eigentlich hübsch, er etwa mein Alter, sie etwas darunter. Zusammengezählt finde ich bei den beiden etwa 15 sichtbare Bodymodifications – die Tätowierungen mal außer acht gelassen. Wo ich gerührt bin von Klang & Text, sind diese beiden geradezu ekstatisch begeistert, freilich in dem Rahmen, den diese melancholische (und wenig „tanzbare“) Musik läßt. Die beiden sind keinesfalls Dauertänzer, es muß sich hier also speziell etwas rühren, hervorgerufen durch genau diese Lieder.

Der Typ – ich kann kaum die Augen abwenden – hat in einem Ohr gleich zwei Fleischtunnel übereinander. Große, gigantische! Heißt, das Läppchen hängt ihm knapp über der Schulter. Heißt, er muß sich eigentlich bewegen wie eine Dame im Korsett. Wie leicht können die dünnen Häutchen einreißen! Man muß keine Schlägerei imaginieren, bereits ein derbes Gedränge würde Blutzoll einfordern! Das andere Ohrläppchen ist gespalten, fünf Plastiknadeln verbinden die beiden Teile. Ich sehe bzw. interpretiere das als: Betonung der Verletzlichkeit, als Halt – und Maßlosigkeit, Sprengung der guten Sitten, auch als übergroße Beschäftigung mit sich selbst, also als Modeaffentum. Und doch scheint der Kerl diese Musik zu lieben wie ich. Ein seltsames Gefühl.

– – – – –

18. 10. 2016 – Betrete unsere Bibliothek und höre im Nebenzimmer Kubitschek telephonieren: „… nee, ich will nur noch mal deutlich nachfragen, ob der auch so ein richtiger Kerl [verlegenes Lachen] ist, also, Sie wissen, was ich meine. Unsere Frolleins sind schon, hm, naja, aus hartem Holz, und im Zweifelsfall verstehen die keinen Spaß. …. Ja, gut. Gut, dann hat er’s ja gewissermaßen schon unter Beweis gestellt, hehe. …. Nee, im Ernst, im vergangenen Jahr hatten wir so einen Anwärter, der mußte leider bei seinen erbärmlichen Anbahnungsversuchen sein Leben lassen, also buchstäblich. … Nein, war nicht schön, glauben Sie mir. Unsere Damen haben’s faustdick hinter den Ohren. Nur noch eine letzte Frage: Stinkt der Kerl sehr? Ich mein, ich hab ihn dann ja für ein Stündchen als Mitfahrer, und außerdem muß man Rücksicht nehmen auf die Leute im Dorf…“

Hahaha. Mir war in Wahrheit rasch klar, um was und wen es geht. Natürlich um einen Bock, der unsere Ziegen deckt. Die Ladies sind übrigens Weiße Deutsche Edelziegen. Kann ich nichts für, ergab sich. Der Bock, den wir nach der Buchmesse abholen dürfen, ist ein Bure. Man kann sagen: aus Afrika. Naja, es wird ohnehin auf cross & kill hinauslaufen. Kubitschek erzählte übrigens später: Von fünf Bockverkäufern, die er anrief, hätten drei betont, daß man Wert auf artgerechte Schlachtung lege. Inwiefern? „Naja, ein Moslem sind Sie a nicht, klingen nicht so. Wir haben schon Anfragen aus anderen Kulturkreisen gehabt, und schächten laß ich meinen Bock nicht.“ Das ganze auf sächsisch. Schön!


Das war’s. Diesmal mit: Extremismusgeschwätz, obligatorischer Stromlinienförmigkeit von Preisträgern und pochenden Herzen von Toten

$
0
0

20. 10. 2016 – Sind mit der ältesten Tochter für ein Buchmessenabendessen verabredet. Sie reist längere Strecken immer per Anhalter. Da ist Pünktlichkeit Glückssache. Dann ein Anruf von ihr: „Kam super durch. Jetzt steh ich an der Stadtgrenze Offenbach/Frankfurt. S-Bahn-Tunnel ist bis auf weiteres gesperrt. Angeblich Bombendrohung.“

Ich: „Na gut. Halte durch. Und: Laß dich bitte in kein Attentat verwickeln.“ Kubitschek ist begeistert. Das sei ein wahnsinnig guter Titel für ein Buchprojekt über naiv-besorgte Eltern. „Jetzt bloß nicht rumerzählen, sonst schnappt uns den jemand weg!“

– – – – –

21. 10. 2016 – Lese in der taz, daß die Buchmessenleute den Junge-Freiheit-Stand wohl absichtlich umplaziert haben:

Die Frankfurter Messe setzt offenkundig auf inhaltliche Auseinandersetzung mit radikalen und extremistischen Positionen. Die Mitarbeiter der Jungen Freiheit blicken auf der Messe tagein, tagaus auf den geräumigen Stand der Amadeu Antonio Stiftung. Dort leuchten große gelbe Poster mit dem Slogan „Kein Ort für Nazis“.
Die Junge-Freiheit-Leute schauen auch auf die Panels des Comics „Drei Steine“ des Dortmunders Nils Oskamp, das die Stiftung nun mit einem didaktischen Teil versehen in einer neuen Fassung herausgebracht hat. Darin schildert der Ich-Erzähler Oskamps Gewalterfahrungen in den achtziger Jahren: „Ich sagte meine Meinung gegen Nazis, das hätte mich fast umgebracht.“

Meine Güte, wie verdammt cool ist das! Diese Assoziationskette JF- extremistisch- Nazis-fastumgebracht! Was nicht paßt, wird…

Die große Tochter tut sich um bei den Amadeus, die einen Mülleimer plaziert haben, aus dem einige Junge Freiheiten ragen. (Sie nennen es: Mut.) Die Mitarbeiter_ innen sind wahnsinnig freundlich und antworten auf die naive Tochterfrage, wie sich „das anfühle“, neben der JF plaziert zu sein, daß dies ja keineswegs unabsichtlich sei. „Du mußt wissen, die da [sie meinen in der Tat die JF] greifen Staatsknete in Riesenhöhe hab, da muß man schon Gesicht zeigen!“ Ich: „Und, was hast Du entgegnet?“ – „Ja. Blöd. Aber dazu ist mir echt nichts mehr eingefallen.“

– – – – –

22. 10. 2016 – Meine eigenen Favoriten für den Deutschen Buchpreis 2016 standen leider nicht zur Debatte. Hätt‘ ich aus der sogenannten Shortlist wählen dürfen, ich hätte gesagt: Thomas Melle. Aber nein: Bodo Kirchhoff, uäh… Der gäbe freilich (rein ideologisch) eine schönes Paar ab mit der Gewinnerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, Carolin Emcke. Als olle Lookistin wundere ich mich nicht, daß Kirchhoff, der knapp Siebzigjährige, auf der Buchmesse dicksohlige Turnschuhe trägt.

Ich zitiere aus der FAZ vom 12. 10. 2016. Es geht in diesem Interview um den preisgekrönten Kirchhoff-Roman mit dem bedeutungsschwanger-gestelzten Titel Widerfahrnis und dessen Protagonisten Reither.

Kirchhoff: Als schließlich auch noch die junge Frau des Nigerianers mit ihrem Baby auf dem Arm auftaucht – als heilige Familie, wenn man so will –, ist das für Reither noch so ein Moment von Widerfahrnis. In diesem Augenblick beugt er sich endgültig dem, was ist, und nimmt die Gemeinschaft an.

Als Reither Leonie Palm kurz darauf durch Zufall am Bahnhof wiedertrifft, übergibt sie ihm den Schlüssel zu ihrer Wohnung. Sie sagt: „Lass sie in meine Wohnung.“

Kirchhoff: Das ist gleichbedeutend mit: „Lass sie in unser Land.“ „Widerfahrnis“ ist also nicht nur eine Geschichte über das Überleben, sondern auch über das Zulassen von Leben.

Sie erzählen von Reduktion und Fülle. Wer sagt uns, wann wir Fülle zulassen sollen und wann reduzieren?

Kirchhoff: Das ist die Frage! Wer sagt uns, wie weit wir die Grenzen öffnen sollen? Es ist die Geschichte mit der Obergrenze. „Widerfahrnis“ ist eine Parabel auf all das. Man kann das, was uns allen hier gerade widerfährt, nicht auf eine Zahl reduzieren, wie es die politisch-katholische Seite tut. Das ist für mein Gefühl zutiefst unchristlich. Merkels Vorgehen hingegen ist geradezu lutherisch, sie beugt sich der Größe des Faktischen durch eine Tat, die für mich eher privat als politisch motiviert war. Eine hochinteressante Sache, die bisher gar nicht so kommentiert wurde.

Haben Sie beim Schreiben von „Widerfahrnis“ eine Antwort auf die Frage gefunden: Wie weit sollen wir uns öffnen?

Ich habe erst einmal eine Sprache gefunden, um überhaupt über das, was gerade passiert, reden zu können. So dass auch ich etwas zu dieser außergewöhnlichen wie dramatischen Situation beitragen kann. Ich glaube schon, dass wir uns ändern werden. Dass wir uns ändern müssen. Auch als Land. Dieses Land kann nicht bleiben, wie es ist. Am Ende des Buches lässt Reither die Fülle zu.

Bedarf es einer gewissen Reife oder Einsicht, bis man sich traut, die Veränderungen anzunehmen?

Es bedarf einer tiefgreifenden, intimen Erfahrung. Die Liebe macht uns weich und durchlässig. Das ist eine Grundvoraussetzung, um überhaupt eine Veränderung zuzulassen, um das Neue oder scheinbar Fremde aufnehmen zu können.

Das Tragische ist ja, daß wir uns solche Äußerungen gar nicht mehr ohne sogleich herniederprasselnden Preisregen vorstellen können… Kirchhoffs letzten Satz abgewandelt und auch auf Emcke bezogen: „Das leidenschaftliche Rennen durch scheunentorweit geöffnete Türen ist eine Grundvoraussetzung, um überhaupt als Preisträger zugelassen zu werden, um das Wohlfeile oder scheinbar Mutige Beton werden zu lassen.“

Das war’s. Diesmal mit Weltspartag, veganem Shampoo und Bob Bjergs Herrn Feilchenfeldt

$
0
0

3.11. 2016 – Immer wieder, er: „Aber was spricht denn dagegen, daß Du einen vlog zu einem Stück Schöner Literatur drehst?“- „Also nochmal: Daß wir nicht das Publikum dafür haben. Empfehle ich ein Sachbuch über die sogenannte Asylkrise oder über linke Weiber oder sowas, kaufen das noch am gleichen Tag hundert Leute. Empfehle ich einen wirklich großartigen Roman, werden in den kommenden Wochen fünf Stück verkauft! Die Neuen Rechten haben wenig Sinn oder Nerv für Belletristik, Punkt.“

„Stimmt doch gar nicht! Denk doch mal an… XY oder Z!“ – „Klar. Wenn sich der Roman um Zuwanderung, radikalen Islam oder sowas dreht, dann ja, dann ist auch die literarische Qualität zweitrangig, ich weiß…“ – „Komm! Du bist ungerecht!“- „Nö, realistisch.“

Also gut. Ich vlogge nicht über Bov Bjergs „Geschichten“-Band Die Modernisierung meiner Mutter. Aber erwähnen, daß es ein extrem unterhaltsames, kluges Buch ist, will ich durchaus & unbedingt. Bov Bjerg (Künstlername) hatte sich im vergangenen Jahr mit seinem Roman Auerhaus Meriten erworben, ein Verkaufshit. Nostalgische Geschichten aus der Jugend in den Achtzigern hat man (seit Florian Illies) schon zum Erbrechen gehört, eigentlich wäre mal gut damit. Außer, einer schreibt wie Bjerg!

Nichts da mit erinnerungsseligem „Weißt du noch, Wetten daß..? Oder Die Drei???
Bjerg stammt aus dem Schwäbischen wie Kubitschek, und ich hab ihm (letzterem) das halbe Buch vorgelesen. Jäher Wiedererkenungseffekt: „Ich kenn das! Und wie ich das kenne!!“

Eine der besten der 22 Geschichten heißt „Der eine, der andere“. Einer ist ein normaler schwäbische Kerl, ein eher erfolgloser Journalist, der sich unter dem Namen seiner Frau neu erfunden hat: Feilchenfeldt. Er, plötzlich ein vielgefragter Referent zu allen Fragen der jüdischen Geschichte, erzählt dem Protagonisten all dieser hier versammelten Geschichten: „Capesius [KZ-Arzt aus Peter Weiss: Die Ermittlung, E.K.] hat ihr Gold gestohlen, ich versilbere ihre Geschichten. Wenn dir das erst einmal klar wird, weißt du. Dann wird’s haarig. Die Haufen von abgeschnittenen Haaren. Die Berge von Schuhen. Jeder Tote eine Story. Dann wird’s echt haarig. Millionen Stories.“

Feilchenfeldt profitiert und leidet zugleich unter seinem neuen Namen: „Verstehst du, ich stand nachts am Waschbecken und dachte: So sieht einer aus, der seinen Daseinszweck aus den Leichen zieht. Der eine hat ihr Gold gestohlen, der andere versilbert ihre Geschichten. Der eine, der andere.“

Soll ich aufrufen: Kauft diese wunderbare Geschichtensammlung von Bov Bjerg? Kauft sie bei Antaios, und zwar hier? Oder wäre ich dann der tertiäre Nutznießer?

Der Beitrag Das war’s. Diesmal mit Weltspartag, veganem Shampoo und Bob Bjergs Herrn Feilchenfeldt erschien zuerst auf Sezession im Netz.

Wer das Schwert gegen das Volk erhebt … Adnoten zu Marcel Beyer und Georg Büchner

$
0
0

aufstandSo wie ein Volk sich einmal über dem Fremden vergißt, so wie es seinen Nationalcharakter, das Band, das es zusammenhält, aufgibt, so wie es einmal in geistiger Bildung der Sklave eines andern wird, so geht auch leicht die politische Freiheit unter, auf die ihr stolz jetzt pocht…!

Dies Deutsche, dies wird euer Los sein; wenn ihr euch jetzt nicht zu neuem, kräftigen Leben wieder erhebt, wenn ihr nicht wieder bald anfangt Deutsche zu werden, wenn ihr euch nicht eure Nationalität, rein und geläutert von allem Fremden wieder erwerbt, werden eure Nachkommen sich eures gebrandmarkten Namens schämen und untergehen werdet ihr ein Spott der Nachwelt und der Gegenwart.

– – –

Schon klar: Nicht mein Stil. Zur (sicher vergeblichen) Irreführung habe ich aus „Teutsche“ „Deutsche“ gemacht. Wer war’s also? Hitler? Also bitte, nein! Der Arndt, Ernst Moritz? Oder… Nein, nein: Georg Büchner. Namensträger des renommiertesten deutschen Literaturpreieses. Ein, hm, Liberaler eigentlich.

Schrieb ich nicht neulich, das leidenschaftliche Rennen durch sperrangelweit geöffnete Scheunentore sei gleichsam eine condititio sine qua non, um hierzulande eine begehrten Kulturpreis zu ergattern? Damals ging es um Carolin Emcke, frischgekürte Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, und um ihre Rede. Nun geht es wieder um Reden (vulgo: Geschwätzwissenschaften, wie Inhaber nichtgeisteswissenschaftlicher akademischer Titel gern sagen). Genauer: Um Marcel Beyer, frischester Büchnerpreisträger. Noch genauer aber: Um die personifizierten Halterungen, die dafür sorgen, daß das Scheunentor nicht zuklappt, während der Traktor in die Hütte bzw. den Palast einfährt.

Der Traktor, das wäre hier Marcel Beyer. Geboren 1965 auf der Schwäbischen Alb, seit zwanzig Jahren Wahldresdner, Poet. Träger des Kleist-, des Oskar-Pastior-, des Erich-Fried-Preises, usw.usf. In der Wochenzeitung für Debatte (JF) machten sie vergangene Woche Beyer unbarmherzig nieder: Die Preisvergabe als Schandmal, gewissermaßen. Hier, in der Sezession, wurde Beyer differenziert und sehr unterschiedlich beurteilt (siehe Sez. 65/2015 und Sez. 28/2009).

Nochmal O-Ton Büchner, Hessischer Landbote, Novemberfassung:

„Ich sage euch: Wer das Schwert gegen das Volk erhebt, wird durch das Volk umkommen. Das Volk ist ein Leib, ihr seid ein Glied dieses Leibes. Es ist einerlei, wo diese Scheinleiche zu zucken anfängt. Wann der Herr euch seine Zeichen gibt durch die Männer, durch welche er die Völker aus der Dienstbarkeit zur Freiheit führt, dann erhebt euch und der ganze Leib wird mit euch auferstehen.“

Marcel Breyers Dankesrede zum Erhalt des gutdotierten Büchnerpreises wurde allenthalben gelobt. Drei Anmerkungen dazu:

1: Warum hat bislang niemand Beyer als Bundespräsidenten ins Spiel gebracht? Im meistgebrauchten Photo zur Dankensrede sieht er ja bereits aus wie ein Gauck junior!

2: Beyers Rede war natürlich (so ist das bei solchen Staatselitepreisen) an die superintellektuellen 0,2% des Volkes gerichtet. An die, die sofort wissen, was Beyer beispielswiese mit seiner Anspielung auf „jenen Hund mit der graphitgrauen Schnauze“ meinte, den „ Goya in seiner Quinta del Sordo in den Putz gezeichnet hat.“ Ich wette, daß 50% der illustren Hörerschaft artig schmunzelten, wiewohl sie sich rein gar nichts unter Goyas Graphithund vorstellen konnten. Daß sie weiterschmunzelten, als Beyer gegen jene Menschen ätzte, die „auf dem Nationalschlauch stehen dürften“, weil sie nie von einem „Fela Anikulapo Kuti“ gehört haben. (Es ist davon auszugehen, daß 95% der Zuhörerschaft der Name Fela Kuti nichts sagt.)

3., und in meinen Augen bedeutsam: Die (allesamt wohlgefälligen) Kommentatoren zur Beyerrede unterstellten dem Poeten Eigenschaften, die ihm lesbar abgehen. Zunächst Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Sie, als Laudatorin, empfand Beyer als „Provokateur“ (gegen was?) als „Verwegenen“ (inwiefern?):

Wir brauchen, davon bin ich überzeugt, die provozierenden Künstler, die verwegenen Denker. Wir brauchen die Utopien, die sie entwerfen, die Phantasie, die sie antreibt. Aber auch die Schärfe ihres Verstandes. Sie verhindern damit, das intellektuelle Trägheit, argumentative Fantasielosigkeit und ja, auch politische Bequemlichkeit die Demokratie einschläfern.

Die Künstler, so Grütters, seien imstande, die Gesellschaft vor

gefährlicher Lethargie und damit auch natürlich vor neueren gefährlichen Anwandlungen zu bewahren.

Dieses Raunen! „Gefährlich!“ „Lethargie!“ „Provozierende Künstler, verwegene Denker!“ Ich sehe keinen, der hierzulande für genau diese Eigenschaften mit Preisen überhäuft wird. Ich sehe nur selbstgefällige, intellektuell träge und argumentativ fantasielose Staats- und Kulturcliquen, die ihresgleichen einseifen.

Was also meint Grütters? Inwiefern genau empfiehlt sich gerade Beyer für solche Eigenschaften und Taten? Ich meine: Ja, Beyer rühmt den Rebellengestus eines Büchner und mimt ihn. Wie? Indem er jene „Zeitgenossen“ blamieren will die „vor lauter Nationalempfinden schwitzen“, die eine „grundverunglückte Heiligabendsprache zelebrieren, die Deutschlandretter mit einem Dschihadistenernst zelebrieren, daß mir das Blut in den Adern gefriert. (…) Büchner beruhigt mich. Er redet mir gut zu.“

Ach ja? Hier etwa, Büchner im April 1833 an seine Familie:

„Meine Meinung ist die: Wenn in unserer Zeit etwas helfen soll, so ist es Gewalt. (…) Man wirft den jungen Leuten den Gebrauch der Gewalt vor. Sind wir denn aber nicht in einem ewigen Gewaltzustand? Weil wir im Kerker geboren und großgezogen sind, merken wir nicht mehr, daß wir im Loch stecken mit angeschmiedeten Händen und Füßen und einem Knebel im Munde.“

Gut. Beruhigend für Herr Beyer. Sein durch tumbe „Deutschlandretter“ geforenes Blut fließt nach solcher Lektüre also wieder brav durch die Adern.

Dann, Betrachtung aus NZZ:

Dem Ruhme Büchners liess der Preisträger am Ende einen Abgesang auf das «Spreizdeutsch» und die «Heiligabendsprache» (…) Das galt, ohne Namen zu nennen, der Rhetorik von Pegida, die den «Sprachsäufer» Beyer schlucken und speien lässt, blieb aber selbst als Polemik noch überaus kunstreich. Eine erstaunliche Rede!

Stimmt insoweit: Das Wort „Pegida“ fiel nicht. Aber, was heißt hier „speien“? Es ist ein Synonym für „pöbeln“, oder? Also pöbelt Beyer. Hübsche Augenhöhe mit denen, die er verhöhnt! Und Büchner selbst?

Soweit ein Tyrann blicket, verdorret Land und Volk. Aber wie der Prophet schreibt, so wird es bald stehen in Deutschland: Der Tag der Auferstehung wird nicht säumen. In dem Leichenfelde wird sichs regen und wird rauschen und der Neubelebten wird ein großes Heer sein. Die besten Männer aller großen Stämme des großen deutschen Vaterlandes werden (…) sich versammeln, um, da, wo die babylonische Hure, der Bundestag, nach dem Willen der Götzen Recht und Wahrheit verhöhnt, christlich über Brüder regieren.

Zuletzt lassen wir die fraglos hochtalentierte Mara Delius (Welt)zu Wort kommen:

Was aber ist, wenn das, was einen umgibt, gerade nicht hell scheint, sondern dunkel, schwer in die Sprache, mit der man sich befasst, sickert und trieft; wie lässt sich heute, jetzt, wenn „Identitäre“ und „Völkische“ in ihr umhertönen, über das Deutsche sprechen? Dass sich diese Frage überhaupt wieder stellt, ist zunächst widerlich und dann interessant.

Delius weiter:

Der Autor als Mahner, der sich den dunkel-tumben Gedanken Parolenpöbelnder entgegenstellt, sicher, dachte man sich weiter hinten, aber was heißt das nun genau (…)?

Ja, was?

Ein letztes mal Höcke, äh, Büchner:

„Das ganze deutsche Volk muß sich die Freiheit erringen. Und diese Zeit, geliebte Mitbürger, ist nicht fern.- Der Herr hat das schöne deutsche Land, das viele Jahrhunderte das herrlichste Reich der Erde war, in die Hände der fremden und einheimischen Schinder gegeben. (…) Der Herr wird auch die Götzenbilder unserer einheimischen Tyrannen zerbrechen durch die Hände des Volks.“

Abschließend nochmal Beyer über Büchner:

Über das selbstbesoffene Eierlikördeutsch seiner Zeitgenossen – süßlich, klebrig, sittenrein – kann er nicht mal mehr lachen, „das ästhethische Geschlapp“ steht ihm „bis am Hals“.

Mit dem klebrigen Eierlikördeutsch und dem rezenten verbalen Geschlapp hat sich Manfred Kleine-Hartlage mustergültig (Büchner hätt’s gefallen!) in seiner Sprache der BRD auseinandergesetzt. Aber Beyer? In seinen schlechteren Texten praktiziert er’s ja selbst.

Der Beitrag Wer das Schwert gegen das Volk erhebt … Adnoten zu Marcel Beyer und Georg Büchner erschien zuerst auf Sezession im Netz.

Viewing all 158 articles
Browse latest View live